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Channel: Prof. Dr. Michael Christ – Blog des DGINA e.V.
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Wann Bildgebung bei stumpfem Thoraxtrauma? Ein Exkurs …

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Auf unserem Adventssymposium in der letzten Woche hat Prof. Kanz aus München in exzellenter Weise ein paar hochinteressante Studien zur Traumatologie vorgestellt. U.a. seine Ausführungen zur „NEXUS Chest Rule“ und der „NEXUS Chest CT Rule“ haben mich besonders beeindruckt:

Bei vermuteten Mehrfachverletzungen bzw. beim hämodynamisch instabilen Patienten wird üblicherweise ein Traumaprotokoll durchgeführt. Dieses Szenario wird in den diskutierten Arbeiten nicht berührt und ist zwischenzeitlich internationaler Standard.

Aber: Bei weniger ausgeprägtem stumpfen Thorax-Trauma eines nicht-bewusstlosen Patienten wird bisher üblicherweise ein Thorax-Röntgen zur Diagnostik durchgeführt. Da in diesem Zusammenhang Verletzungen häufiger übersehen werden können, wird insbesondere auch in US-amerikanischen Zentren zusätzlich ein CT-Thorax durchgeführt. Diskussionspunkte in dieser Praxis liegen auf der Hand: Hoher Ressourcenverbrauch, niedrige diagnostische Ausbeute und natürlich auch die hohe Strahlenbelastung beim CT-Thorax mit Folgeschäden.

In einer Arbeit aus 2013 diskutieren die Autoren um Kea B et al. diese Praxis und zeigen auf, dass die nach einem unauffälligen Thorax-Röntgen durchgeführten CT-Untersuchungen kaum relevante Verletzungen aufzeigen. Methodisch gut gemachte Arbeit mit interessanten Einblicken in die klinische Praxis. Zusammenfassend aber also eine Praxis, die nicht flächendeckend durchgeführt werden sollte. Ich persönlich stelle mir bei der Nutzung von sensitiveren diagnostischen Methoden immer die Frage: „Will it change the management“. Und Kritiker der CT-Thoraxuntersuchung bringen vor, dass die zusätzlich zum Röntgen Thorax im CT erhobenen Befunde keine zusätzliche Hinweise aufzeigen, so dass das Management derartig Verletzter verändert werden muss.

Die gleiche Arbeitsgruppe aus San Francisco, USA, haben nun multizentrisch untersucht, wann bei Patienten nach Thorax-Trauma überhaupt ein Röntgen Thorax als bildgebendes Verfahren gemacht werden sollte:

Folgende Patienten nach Trauma sollten eine konventionelle Röntgen-Diagnostik erhalten. Dies sind die Komponenten der oben zitierten “NEXUS Chest Rule“:
1) Patienten älter als 60 Jahre
2) Unfallmechanismen mit starker Dezeleration (z.B. Fall > 6m oder Autounfall > 64km/h
3) Thoraxschmerzen nach Trauma
4) Intoxikation
5) Eingeschränktes Bewusstsein/mentaler Status
6) Ablenkende andere Verletzung
7) Schmerzempfindlichkeit nach Palpation des Thorax

Der abgeleitete Algorithmus wurde prospektiv in einer Klasse gemachten JAMA Surg Arbeit validiert (Rodriguez M et al. JAMA Surgery 2013): Wird die Bildgebung des Thorax nur bei den Patienten durchgeführt, die eines der NEXUS Chest Kriterien erfüllen, wird eine sehr hohe diagnostische Genauigkeit erreicht (Sensitivität von 99,7% für klinisch relevante Traumen). Gleichzeitig diskutieren die Autoren auch, dass das Alterkriterium durchaus „kritisch“ einzusetzen ist und in der täglichen Praxis individuell überprüft werden muss. Bei einem 61 jährigen Patienten mit geringen Beschwerden in der klinischen Untersuchungen sollte nach Einschätzung der Autoren nicht unbedingt eine Thorax-Bildgebung erfolgen. Die Autoren verweisen, dass anderenfalls nicht die gewünschte Reduzierung der Bildgebung stattfinden würde, sondern zu vielen unnötigen Röntgenuntersuchungen führen würde.

In einer Nachfolgearbeit wird nun untersucht, wann nach Durchführung eines Röntgen-Thorax, eine CT Untersuchung des Thorax durchgeführt werden sollte:

Folgende Kriterien sollten erfüllt sein (NEXUS Chest CT rule):
(1) pathologisches konventionelles Thorax-Röntgen
(2) Mechanismus mit rascher Dezelration
(3) ablenkende andere Verletzung
(4) Schmerzen Thoraxwand
(5) Schmerzen Sternum
(6) Schmerzen Brustwirbelsäule
(7) Schmerzen Schulterblatt

Die Sensitivität bei der Anwendung dieser Kriterien liegt bei über 99%! Die Qualität der Studie ist durch seine prospektive, multizentrische Durchführung hervorragend.

Ein Einwand vor einer Implementation in die eigene klinische Routine bleibt: Die Studienergebnisse sollten extern validiert werden bzw. deren Einführung im eigenen Kontext kritisch geprüft und diskutiert werden. Außerdem denke ich, dass zukünftig auch bei Änderungen des diagnostischen Vorgehens eine randomisierte Interventionsstudie durchgeführt werden sollte (also: 1 Arm mit Standardvorgehen, 1 Arm mit neuem diagnostischen Vorgehen).

Nichtsdestotrotz. Spannende Gedanken und Ideen, die sicherlich in einigen Notaufnahmen in Deutschland bereits durchgeführt werden. Vielleicht kann ja der eine oder andere aus seiner eigenen Praxis davon unter Kommentare berichten.

Das war´s mal wieder aus Nürnberg. Stay tuned and join again!

Und hier noch der Algorithmus zur Chest CT Rule aus dem Paper:

NEXUS Chest CT Rule


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