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Channel: Prof. Dr. Michael Christ – Blog des DGINA e.V.
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Morphin bei akutem Myokardinfarkt. Ausgedient?

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Am letzten Wochenende habe ich das Thromboseforum in Stuttgart besucht. Eine in Deutschland einzigartige Veranstaltung. Fachlich äußerst exzellent wurden vielfältige Themen der Thrombozytenhemmung und Antikoagulation beim komplexen kardiovaskulären Patienten besprochen.

Habe mal wieder wirklich sehr viel dazugelernt und gleichzeitig wird man schon etwas “demütig”, wenn man die rasante Entwicklung in diesen Teilgebieten der Medizin sieht.

Fokussieren möchte ich mich in diesem Beitrag auf den Stellenwert der Opiat (Morphin) Gabe beim akuten Myokardinfarkt. In der täglichen Praxis ist ganz selbstverständlich, dass Patienten mit akuten Schmerzen (bei Infarkt oder anderen akuten Schmerzen) Morphin erhalten. Auch die Leitlinien empfehlen dies uneingeschränkt . (siehe Tabelle 6 der ESC Leitlinien, Level of evidence: I C)

Zahlreiche Arbeiten – meist retrospektiver Art - hinterfragen jedoch den Stellenwert der Opiatgabe bei akutem Myokardinfarkt. Die Gabe von Opiatem bei akutem Myokardinfarkt scheint mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert zu sein. Hochinteressant ist, dass in einer Subgruppenanalyse der ATLANTIC Studie die präklinische Applikation von Ticagrelor in der Patientengruppe ohne Morphin gegenüber der späteren Verabreichung von Ticagrelor eine Überlegenheit zeigt. In der Gesamtpopulation hatte ja die Ticagrelorgabe keine Überlegenheit gezeigt. Parodi et al. berichten über die verspätete Aktivität von oralen Thrombozytenaggregationshemmern durch Morphin Gabe.

In diesem Kontext wurde im Thromboseforum eine Arbeit von Kubica et al. diskutiert, welche in 2016 im Eur Heart Journal publiziert wurde: In ausgeklügelten klinisch-pharmakologischen Experimenten wurde gezeigt, dass die Gabe von 5mg Morphin (klinisch übliche Dosis) zu einer erheblich reduzierten Bioverfügbarkeit von Ticagrelor führt. Vermutlich verursacht Morphin eine Inhibition der Absorption im GI Trakt, welche durch Aktivierung der Opioidrezeptoren im Darm vermittelt wird. Diskutiert wird eine Inhibierung der Darmmotilität.

Bereits eine frühere Studie hat gezeigt, dass Morphin auch die Resorption von Clopidogrel verzögert und in der kritischen Phase um die KoronarIntervention, die Wirkung von Clopidogrel reduziert. Dies könnte eine mögliche Erklärung für eine “erhöhte Sterblichkeit” unter Morphin Applikation sein.

Sie werden fragen, was nun die praktische Konsequenz aus diesen Beobachtungen sein könnte. Ehrlich gesagt, da bin ich überfragt und ich kenne keine klaren Stellungnahmen in dieser Thematik. Schmerztherapie ist für mich ein ganz wichtiges Element, auf der anderen Seite führt die “erwünschte” Schmerztherapie in diesem Kontext offensichtlich zu Nachteilen, die zu einer erhöhten Sterblichkeit führt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es aus meiner Sicht wichtig, nicht unreflektiert bei jedem Patienten Morphin zu verabreichen. Vermutlich wird in der nahen Zukunft dieses Thema weiter analysiert, so dass auch dann alternative Vorgehensweisen entwickelt werden können.

Evtl. könnte die intravenöse Verabreichung von Thrombozytenaggregationshemmern, z.B. von Cangrelor, die oben beschriebenen Effekte umgehen und damit eine Lösung anbieten. Aber … auch die Kostenträger werden hier ein Wort mitsprechen (wollen).

Das war´s mal wieder aus Nürnberg mit einem aus meiner Sicht sehr spannenden Thema: Stay tuned and join again!


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