Ich bin derzeit mit einem Gutachten beschäftigt. Es geht eigentlich ….
um eine ganz “banale” Frage. So oder so ähnlich könnte die Fragestellung des Gutachtens lauten: Patient mit vasovagaler Synkope stellt sich in der Notaufnahme vor. Die Diagnosestellung des Diensthabenden ist in sich konklusiv, er findet keine Hochrisikoreichen und entlässt die Patientin in die ambulante Betreuung. Einen Tag später stirbt die Patienten an einer Problematik, die eigentlich bereits zum Vorstellungszeitpunkt vorlag, aber in der in sich schlüssigen Argumentation des Diensthabenden Arztes nicht aufgetaucht ist. Einen ähnlichen Fall hatten wir vor einiger Zeit in Notfall- und Rettungsmedizin publiziert (Güldner et al. 2011 )
Zusammengefasst handelt es sich hier um einen “diagnostischen Fehler”. Man rechnet damit, dass in Notaufnahmen etwa 20% aller Entscheidungen “falsch” sind, also fehlerhaft und nicht korrekt getroffen wurden. Am niedrigsten ist die Fehlerrate in der Radiologie bzw. Pathologie mit unter 5%. Dies bedeutet, dass diagnostische Fehler weit häufiger sind als Fehler aufgrund mangelnder Sorgfalt bei der Medikation, bei Interventionen etc.
Nicht umsonst hat das amerikanische “Institute of Medicine”, das sich der Qualität der Medizin verschrieben hat, dem Thema des “diagnostic errors” als eigenes Projekt gewidmet (weiteres hier). Von dort können Sie über weitere Absprünge interessante Informationen recherchieren.
Wie kommt es zu diagnostischen Fehlern? Dies ist ein äußerst komplexes Thema aus dem Fachbereich der “kognitiven Psychologie” und für uns Ärzte auch von großer Relevanz. Es liegen meist systemische aber auch individuelle Gründe für diese Fehler vor. Bei der eigenen, persönlichen “Ursachen” werden nicht-analytische (automatisierte schnelle Entscheidungen, “Gut Feeling” etc.) und analytische Ursachen unterschieden. Häufig treffen wir “Fehlentscheidungen”, weil wir uns z.B. zu früh auf einen Weg festlegen und auch gegenteilige Hinweise auf alternative Diagnosen ignorieren. Dies bezeichnet man als “Premature Closure” unseres kognitiven Ablaufs.
Zu dem Thema “diagnostic error” und “diagnostic reasoning” gibt es unzählige Literatur. Ich hatte ja schon auf entsprechende Arbeiten hingewiesen. Auch Arbeiten im NEJM von Croskerry P et al. bzw. von Norman und Eva in Med Education sind absolut geeignet, um in dieses komplexe Thema einzusteigen.
Bedauerlich ist: Alle möglichen Ideen, um weniger häufig in die Falle eines diagnostischen Fehlers zu tappen, haben sich in der Praxis nicht bewährt. Ich selbst bin besonders sorgfältig, wenn es sich um klinische Fragestellungen handelt, bei denen folgendes auftritt: 1) atypische Präsentation eines ungewöhnlichen Problems 2) ein Suchtproblem, eine psychiatrische Grunderkrankung oder ein mentales Problem vorliegt (hierzu zähle ich auch Sprachbarriere mit Verständigungsschwierigkeiten, 3) eine chronische Erkrankung vorliegt und möglicherweise eine akute Verschlechterung aufgetreten ist und 4) pathologische Veränderungen der erhobenen Vitalparameter vorliegen. Sie werden fragen, weshalb ich diese Punkte aufzähle? Nun, dies sind die häufigsten Gründe für “Fehler” bei diagnostischen Entscheidungen, die innerhalb von 7 Tagen zu einem unerwarteten Tod geführt haben. Dies wurde aus meiner Sicht wirklich brilliant von Sklar et al. berichtet. Aus meiner Sicht sehr eindrucksvoll geschildert.
So stellt sich für mich tatsächlich für mein zu erstellendes Gutachten die Frage, ist die in sich schlüssige Diagnosestellung obigen Dienstarztes als “Versagen” im Sinne von “schuldig sein” zu bewerten, oder handelt es sich hier um einen “schicksalhaften Verlauf”. Wirklich schwierige Thematik … aber vielleicht können sie Ihre Ideen zu diesem Thema in den Kommentar schreiben. Würde mich wirklich interessieren.
Das war´s kurz vor Weihnachten aus Nürnberg. Merry Xmas, beste Grüße und ruhigen Dienst, und schauen Sie einfach mal wieder rein! Stay tuned and Join again!